Crash der Lieferketten
Warum unser Wohlstand auf einem Fundament aus Glas gebaut wurde
Die Welt wirkt stabil, solange die Regale voll sind. Solange Supermarktregale frisches Obst aus Südamerika, Elektronik aus Asien und Kleidung aus Bangladesch führen, glauben wir an die Unerschütterlichkeit der Globalisierung. Solange Tankstellen Benzin liefern, während draußen Lastwagen über Autobahnen rollen, scheint alles in bester Ordnung. Solange Klicks auf Onlineportalen in Pakete münden, die binnen eines Tages vor der Tür liegen, scheint die moderne Welt nahezu unbesiegbar.
Doch diese Illusion ist so zerbrechlich wie dünnes Glas unter der Last eines Steins.
Die Wahrheit ist: Unsere Versorgung hängt an Fäden, die feiner und gespannter sind, als wir es je wahrhaben wollten. Die Lieferketten, auf die sich unsere gesamte Weltwirtschaft stützt, sind keine robusten Stahlseile. Sie sind filigrane Netze aus Abhängigkeiten, überzogen von einer dünnen Schicht aus Vertrauen und Effizienzdenken, die jederzeit reißen können.
Ein einziger Container, der in einem falschen Hafen festsitzt, eine einzige politische Krise an einer Engstelle wie dem Suezkanal, eine einzige Eskalation zwischen Staaten – und die gesamte Kette beginnt zu wanken. In den ersten Stunden noch unbemerkt. In den ersten Tagen als Randnotiz auf Wirtschaftsseiten. Aber je länger die Blockade, je länger die Unterbrechung, desto härter und schneller werden die Wellen, die alles überspülen, was wir als gegeben angenommen haben.
Ohne funktionierende Lieferketten gibt es keine Elektronik mehr.
Keine Medikamente.
Keine Ersatzteile für Maschinen.
Keine neuen Autos auf den Höfen der Händler.
Kein Benzin an den Zapfsäulen.
Und es wird nicht bei Luxusgütern bleiben. Es wird das Fundament treffen: Nahrung, Energie, Wasseraufbereitung. Die Dinge, von denen Leben abhängt, nicht Komfort.
Was passiert, wenn der Nachschub an Weizen ausfällt, weil Häfen blockiert sind?
Was passiert, wenn die LKW-Flotten keine Ersatzteile mehr bekommen, weil asiatische Zulieferer ihre Werke schließen?
Was passiert, wenn Medikamente nicht mehr rechtzeitig geliefert werden können und die Regale der Apotheken leer bleiben?
Die Antworten sind nicht schwer zu erraten.
Innerhalb weniger Tage beginnt eine Verknappung.
Innerhalb weniger Wochen wandelt sich Verknappung in Mangel.
Und Mangel wandelt sich in Verzweiflung.
Die Globalisierung, die uns Wohlstand und Vielfalt brachte, hat uns gleichzeitig abhängig gemacht wie niemals zuvor in der Geschichte. Kein Land, kein Kontinent ist mehr wirklich autark. Deutschland, einst ein Symbol für industrielle Unabhängigkeit, hat seine kritischen Industrien längst ins Ausland verlagert. Die Puffer, die noch in den Wirtschaftswunderjahren bestanden, wurden für Effizienz und Gewinnmaximierung geopfert.
Just-in-Time-Produktion hat die Lagerhallen leergefegt und die Vorräte auf die Straße verlegt. Ein einziges blockiertes Glied – und das ganze System bricht schneller zusammen, als Rettungspläne greifen könnten.
Man wird nicht langsam in eine Krise hineingleiten.
Man wird abrupt hineinstürzen.
Heute noch klickst du auf einen Bestellbutton, morgen erfährst du, dass kein Liefertermin mehr genannt werden kann.
Heute noch fließt das Benzin in deine Leitung, morgen stehen die Tankstellen leer.
Heute noch rollt der Supermarktwagen über polierte Fliesen, morgen wirst du um ein Paket Reis kämpfen.
Die Menschen werden nicht rational reagieren.
Nicht gelassen auf ihre Vorräte zurückgreifen.
Nicht in Ruhe abwarten.
Sie werden in Panik geraten.
Sie werden in Scharen Märkte stürmen.
Sie werden nach Schuldigen suchen, nach Verantwortlichen, nach Lösungen – und nichts davon wird schnell genug zu finden sein.
In einer Welt, die auf Geschwindigkeit und ständiger Verfügbarkeit gebaut ist, wird die plötzliche Stille in den Lieferketten wie ein Hammerschlag wirken. Und während Manager und Politiker noch über Lösungen diskutieren, werden draußen die Straßen leergefegt, die Regale geplündert und die Nerven der Menschen zum Zerreißen gespannt sein.
Wir stehen nicht auf einem Fundament aus Beton.
Wir stehen auf einem zerbrechlichen Netz aus Vertrauen, Effizienz und Abhängigkeit.
Und es braucht keinen Orkan, um es zum Einsturz zu bringen.
Es reicht ein Riss.
Die Weltwirtschaft ist kein Bollwerk.
Sie ist eine Illusion – so lange stabil, bis einer den ersten Dominostein stößt.
Und wenn er fällt, wird es kein Halten mehr geben.