Cyberkrieg gegen die Lebensadern – Die stille Verwundbarkeit unserer EnergieinfrastrukturEin strategischer Lagebericht
Wenn man als Soldat operiert, lernt man sehr früh: Wer die Versorgungslinien des Gegners zerstört, gewinnt den Krieg, bevor er begonnen hat. Heute, als strategischer Analyst, erkenne ich dieselbe Logik – nur dass die modernen Versorgungslinien aus Strom, Daten und digitalen Netzwerken bestehen. Und sie sind anfälliger als je zuvor.
Was kaum jemand sehen will: Unsere gesamte Zivilisation hängt an einem fragilen System – dem Stromnetz. Und genau dieses System ist längst zum Angriffsziel geworden.
The Grid – die unterschätzte Achillesferse der westlichen Infrastruktur
Das amerikanische Stromnetz – in drei Hauptregionen gegliedert (Eastern, Western, Texas Interconnect) – ist ein Netz aus über 7.000 Kraftwerken, 450.000 Meilen an Hochspannungsleitungen und 70.000 Umspannwerken. Doch die Zahlen täuschen über den Zustand hinweg:
- 60 % der Schaltanlagen sind älter als 30 Jahre.
- Die Übertragungsleitungen stammen aus einer Zeit, als es weder Internet noch IoT gab.
- Und der Energieverbrauch wächst exponentiell – nicht zuletzt durch Datenzentren, die mittlerweile ganze Kraftwerke benötigen.
Dieses alternde System wird heute mehr denn je zum Ziel feindlicher Operationen.
Drei strategische Hauptbedrohungen: EMP, Sonnenstürme, Cyberattacken
1. EMP – der elektromagnetische Alptraum:
Ob durch Atomwaffen in großer Höhe oder durch HPM-Waffen (High Power Microwaves) – ein EMP kann sämtliche Elektronik in einem weiten Radius lahmlegen. Laut US-Militär könnten bei einem flächendeckenden EMP-Angriff 90 % der US-Bevölkerung durch Folgeeffekte wie Hunger, Krankheit und Chaos sterben.
2. Sonnenstürme & geomagnetische Störungen:
X-Klasse-Sonnenstürme können Hochspannungsleitungen zerstören und Transformatoren überlasten. Der sogenannte Carrington Event von 1859 ist das historisch dokumentierte Beispiel – heute jedoch wären die Schäden im Billionenbereich und die Ausfallzeiten jahrelang.
3. Cyberattacken – die permanente Belagerung:
Bereits 2015 wurde die Ukraine Ziel eines Cyberangriffs, der Stromversorgung für 700.000 Menschen kappte. Auch in den USA zeigten der Colonial Pipeline-Hack und Angriffe auf SCADA-Netzwerke, wie verletzlich kritische Systeme sind – besonders durch ihre Zugänglichkeit via Internet.
Der hybride Angriffsraum – SCADA, IoT und operative Systeme
Die Vermischung von IT (Informationstechnologie) und OT (Operational Technology) ist ein Segen für Effizienz – und ein Fluch für Sicherheit.
- Sensoren, Smart Meter und vernetzte Steuerzentralen erhöhen die Angriffsfläche.
- Malware kann über simple Phishing-Kampagnen bis tief in industrielle Kontrollsysteme vordringen.
- Ransomware ist nur die Spitze des Eisbergs – Angreifer simulieren heute ganze Kontrollnetzwerke, bevor sie zuschlagen.
Und: Ein einziger erfolgreicher Angriff kann ganze Regionen lahmlegen.
Was jetzt zu tun ist – Resilienz als nationale Überlebensstrategie
1. „Security by Design“ statt Flickwerk:
Systeme müssen von Anfang an für Angriffe gebaut sein – mit Redundanzen, segmentierten Netzwerken und automatisierter Bedrohungserkennung.
2. Zero Trust Prinzip umsetzen:
Zugriffskontrolle, Authentifizierung und Überwachung müssen lückenlos und standardisiert implementiert werden – nicht nur als Vorschrift, sondern als operative Notwendigkeit.
3. Öffentliche und private Akteure in die Pflicht nehmen:
Die Infrastruktur gehört meist der Privatwirtschaft – ihre Absicherung ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ohne massive Investitionen, klare Vorschriften und koordiniertes Krisenmanagement bleiben wir verwundbar.
Fazit: Wer das Licht ausschaltet, gewinnt den Krieg
Strom ist heute mehr als nur Energie – es ist Lebensgrundlage, Kommunikationskanal, Verteidigungsinfrastruktur und Wirtschaftskreislauf in einem. Die Sicherheit des Stromnetzes ist kein Technikproblem. Es ist ein geopolitisches Machtinstrument – und wer es unterschätzt, riskiert alles.
Wer heute nicht in Resilienz investiert, investiert morgen in Wiederaufbau – oder im schlimmsten Fall: in Reanimation.
– André Schmitt
Experte für systemische Krisenvorsorge, operative Resilienz und sicherheitskritische Infrastrukturen