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Demokratie ohne Gegenspieler – Wenn Opposition zur Gefahr erklärt wird

Autor: André Schmitt (Ex-KSK, Profiler und Mediator)


Eine gesunde Demokratie lebt vom Streit. Vom offenen Wettkampf der Ideen. Von Meinungsvielfalt und kontroverser Debatte. Opposition ist kein Störfaktor – sie ist das Korrektiv, das verhindert, dass Macht blind und selbstgerecht wird. Doch in der politischen Realität unserer Zeit wird aus dieser notwendigen Gegenspielerin zunehmend ein Feindbild.

Kritik an Regierungshandeln wird nicht mehr diskutiert – sie wird delegitimiert. Wer widerspricht, gilt als destruktiv, populistisch oder gefährlich. Vor allem dann, wenn die Kritik zu laut, zu populär oder zu gut begründet ist. Besonders deutlich wird das im Umgang mit Parteien, die sich außerhalb des ideologisch etablierten Spektrums bewegen. Statt sich argumentativ mit deren Positionen auseinanderzusetzen, werden diese pauschal als „undemokratisch“ gebrandmarkt – unabhängig davon, wie viele Millionen Wähler hinter ihnen stehen.

Das eigentliche Problem ist nicht, dass politische Extreme existieren – das ist in einer freien Gesellschaft normal. Das Problem ist, wenn alle Nicht-Übereinstimmung mit dem Regierungskonsens reflexhaft als extrem abgetan wird. Dadurch wird nicht nur die politische Landschaft verengt, sondern auch die Meinungsfreiheit ausgehöhlt.

Der Gleichklang in den Parlamenten nimmt zu. Zwischen Koalition und angepasster Opposition verschwimmen die Grenzen. Viele Debatten wirken inszeniert, nicht geführt. Kritische Stimmen werden in Ausschüssen blockiert, in Talkshows ausgeladen oder in den Medien auf ein Feindbild reduziert. Der politische Gegner wird moralisch entwertet – nicht politisch gestellt.

Die Folgen sind tiefgreifend. Ein großer Teil der Bevölkerung fühlt sich nicht mehr vertreten. Er erkennt sein Weltbild, seine Sorgen, seine Lebensrealität in keiner der etablierten Parteien wieder. Diese Lücke wird nicht durch Dialog, sondern durch Diffamierung beantwortet. Und genau das ist der Nährboden, auf dem Radikalisierung gedeiht.

Echte Opposition ist unbequem – muss es sein. Sie darf anecken, übertreiben, provozieren. Das ist nicht gefährlich. Gefährlich ist eine Demokratie, die keine Opposition mehr zulässt – weil sie glaubt, sie nicht mehr zu brauchen.

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