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Die Demokratie der Umwege – Wenn Koalitionen den Wählerwillen brechen

Autor: André Schmitt (Ex-KSK, Profiler und Mediator)


Demokratie lebt vom Vertrauen. Vom Gefühl, gehört und vertreten zu werden. Von der Überzeugung, dass die eigene Stimme etwas bewirkt. Doch genau dieses Fundament wird in Deutschland und vielen westlichen Demokratien zunehmend ausgehöhlt – nicht durch offene Gewalt oder offensichtliche Diktatur, sondern durch ein leises, kalkuliertes Spiel: das Koalitionssystem.

Wahlen werden als Ausdruck des Volkswillens verstanden – als Moment, in dem jeder Bürger mitbestimmt, welche Richtung das Land nehmen soll. Doch die Realität sieht anders aus. Am Wahlabend endet die Mitbestimmung, und das politische Feilschen beginnt. Koalitionsverhandlungen – oft Wochen oder Monate lang – entscheiden hinter verschlossenen Türen, was aus dem Wahlergebnis tatsächlich wird. Programme werden geglättet, Positionen verschoben, Versprechen relativiert. Und am Ende regieren häufig Konstellationen, die nie jemand direkt gewählt hat – oder die man als Wähler bewusst vermeiden wollte.

Beispiele gibt es genug. Eine Partei verspricht vor der Wahl, keine Steuererhöhungen – nach der Koalition kommen sie doch. Eine andere schließt eine Zusammenarbeit kategorisch aus – und tut es dennoch. Die größte Frustration aber: Die stärkste Partei bekommt nicht automatisch den Regierungsauftrag, während kleinere Parteien mit minimalen Prozentpunkten plötzlich zentrale Ministerien übernehmen. Das ist legal. Aber ist es legitim?

Die daraus resultierende Politik fühlt sich für viele Menschen nicht mehr nach Vertretung an, sondern nach Verrat. Und das ist gefährlich. Denn wo Menschen das Gefühl verlieren, dass ihre Stimme zählt, da wächst das Misstrauen. Die Wahlbeteiligung sinkt, die Politikverdrossenheit steigt, und radikale Ränder gewinnen an Zulauf – nicht unbedingt, weil deren Inhalte überzeugen, sondern weil sie wenigstens authentisch wirken.

Koalitionen sind nicht per se undemokratisch. Sie sind in einem fragmentierten Parteiensystem oft notwendig. Aber wenn Koalitionen zur dauerhaften Umgehung des Mehrheitswillens werden, verliert die Demokratie ihre Glaubwürdigkeit. Wenn Parteien nur noch strategisch handeln, nicht aus Überzeugung, sondern aus Machtkalkül, dann entsteht eine Politik der Beliebigkeit – glatt, kalkuliert, austauschbar.

Die eigentliche Gefahr liegt nicht in einer bestimmten Partei, sondern im System selbst, das sich immun gemacht hat gegen echte Veränderung. Eine Art Demokratiesimulation, in der alles erlaubt ist – solange es den Status quo erhält.

Was bleibt dem Bürger? Wachsamkeit. Der Blick hinter die Parolen. Das Bewusstsein, dass Demokratie kein Selbstläufer ist, sondern tägliche Verantwortung. Und vielleicht auch die Frage: Wie viel echte Wahl steckt eigentlich noch in unserer Wahl?

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