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Die Seidenstraße im Süden – Wie China mit Visafreiheit Lateinamerika charmant vereinnahmtEin Bericht


Ich habe viele Operationen gesehen, manche hart und frontal, andere subtil und elegant. Was China derzeit mit seiner visafreien Einladung an fünf zentrale Länder Lateinamerikas inszeniert, gehört zur zweiten Kategorie – ein strategisches Meisterstück der sanften Einflussnahme. Man nennt es „Soft Power“. Ich nenne es: die leise Expansion.

Vom 1. Juni 2025 bis 31. Mai 2026 dürfen Bürger aus Brasilien, Argentinien, Chile, Peru und Uruguay ohne Visum für 30 Tage nach China einreisen. Klingt nach diplomatischem Entgegenkommen. Doch wer genauer hinschaut, erkennt: Dahinter steckt ein Plan. Und dieser Plan betrifft weit mehr als Tourismus oder Geschäftsreisen.

Wirtschaftsdiplomatie 2.0 – Zuckerbrot ohne Peitsche

Während Washington mit Sanktionen, Misstrauen und militärischer Rhetorik operiert, lockt Peking mit offenen Türen, Stipendien und Handelschancen. China macht nicht Druck – es macht Angebote. Und genau darin liegt die Gefahr.

Denn was oberflächlich wie eine Geste der Freundschaft wirkt, ist in Wahrheit ein geopolitisches Manöver mit klarer Zielrichtung: Bindung durch wirtschaftliche Verflechtung, Einfluss durch Infrastruktur, Kontrolle durch Zugang.

Lateinamerika liefert, was China braucht: Lithium, Kupfer, Soja, Öl, Fleisch. Und mit jedem Vertrag, jeder Schnellstraße, jedem Hafenprojekt wächst Pekings Einfluss. Das ist keine Kooperation – das ist schleichende Abhängigkeit.

Der perfekte Zeitpunkt

Timing ist kein Zufall. Während die USA unter Präsident Trump und seinen Nachfolgern auf Restriktion setzen – zuletzt mit der Rücknahme von Visa für chinesische Studierende – öffnet China die Arme. Die Region, frustriert von Washingtons Unzuverlässigkeit, empfängt Peking mit offenen Händen.

Ergebnisse lassen nicht auf sich warten:

  • Über 500 Milliarden USD Handelsvolumen im Jahr 2024.
  • Ausbau von Schlüsselhäfen wie Chancay in Peru.
  • Planung eines kontinentalen Schienennetzes von Brasilien bis zur Pazifikküste – ein direkter Handelsweg, um den Panama-Kanal zu umgehen.

Intelligenzoffensive: Stipendien, Schulungen, Einfluss

China bietet 3.500 Stipendien, entsendet Experten zur Armutsbekämpfung, schickt Industrieberater in lokale Behörden. Klingt nach Hilfe – ist es auch. Doch es ist Hilfe mit Bedingungen. Denn wer die Bildung prägt, prägt auch die Denkweise.

Wenn man ein System von innen heraus verändern will, beginnt man mit der Bildung. Wer Chinesisch spricht, in China studiert und in chinesisch finanzierten Projekten arbeitet, denkt irgendwann nicht mehr nur in westlichen Kategorien.

Amerika schaut zu – China gestaltet

Ein ehemaliger US-Analyst warnte unlängst: “Visa-freier Zugang beschleunigt Chinas kommerzielle Verankerung – ohne Gegengewicht.” Und genau das sehen wir. China baut nicht nur Straßen – es baut Netzwerke. Politische, wirtschaftliche, kulturelle.

Lateinamerika wird nicht erobert. Es wird umworben.

Und in diesem neuen kalten Krieg der Systeme ist Charme oft effektiver als Drohungen.


Schlussfolgerung: Die Front verläuft nicht durch die Anden – sondern durch die Herzen

Als jemand, der gelernt hat, operative Dominanz über Einfluss und Zugang zu definieren, sage ich: China führt eine neue Art der strategischen Kriegsführung – eine, die ohne Soldaten, aber mit Visafreiheit, ohne Panzer, aber mit Infrastrukturinvestitionen auskommt.

Was Washington mit Lautstärke verliert, gewinnt Peking mit Geduld. Und wenn der Westen nicht bald beginnt, auf Augenhöhe attraktive Alternativen zu bieten, wird Lateinamerika zu einem neuen Brückenkopf chinesischer Weltmachtambitionen.

– André Schmitt
Ehem. KSK, Berater für Wirtschaftssicherheit und geopolitische Mediation

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