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„Divide et Impera 2.0 – Wenn jede Kritik zur Spaltung erklärt wird“

In Scheindemokratien oder stark ideologisierten Gesellschaften ist eine der wirkungsvollsten Methoden der Meinungsunterdrückung die gezielte Diffamierung abweichender Ansichten als „Spaltung der Gesellschaft“. Diese Strategie dient nicht nur dazu, Kritiker mundtot zu machen, sondern auch, die öffentliche Wahrnehmung so zu beeinflussen, dass die Scheindemokratie oder die herrschende Ideologie als einzig legitime Autorität erscheint. Währenddessen wird paradoxerweise genau das betrieben, was den Gegnern vorgeworfen wird: Die aktive Spaltung und Hetze gegen alle, die nicht auf Linie sind.
Diese Methode ist ein Paradebeispiel für eine Form des „Doppeldenkens“, wie sie George Orwell in „1984“ beschrieb. Sie beruht auf einer kognitiven Verzerrung, bei der zwei sich widersprechende Konzepte gleichzeitig als wahr angenommen werden sollen. Der grundlegende Mechanismus funktioniert folgendermaßen: Jede Form von Kritik oder auch nur ein alternatives Narrativ wird nicht als legitimer Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte betrachtet, sondern als Angriff auf die Einheit der Gesellschaft. Zugleich jedoch hetzt das System unablässig gegen diese Kritiker, isoliert sie sozial und stellt sie als Feinde der Gemeinschaft dar. Die eigentliche Spaltung geht also nicht von den Andersdenkenden aus, sondern von jenen, die die Kontrolle über die öffentliche Meinung beanspruchen.
Doch warum ist diese Strategie so effektiv? Ein entscheidender Faktor ist das psychologische Prinzip der Mehrheitsmeinung. Menschen haben von Natur aus das Bedürfnis, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen. Wenn ihnen suggeriert wird, dass abweichende Meinungen nicht nur falsch, sondern gefährlich sind, führt dies dazu, dass viele ihre eigenen kritischen Gedanken unterdrücken. Dieses Phänomen wurde im sogenannten Asch-Experiment eindrucksvoll belegt: Menschen passen sich selbst dann der Mehrheit an, wenn sie wissen, dass diese objektiv falsch liegt. In Kombination mit der sogenannten „Schweigespirale“, einem Konzept der Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Noelle-Neumann, wird die Wirkung noch verstärkt. Wenn eine abweichende Meinung sozial geächtet wird, äußern immer weniger Menschen sie öffentlich, wodurch sie scheinbar aus der Gesellschaft verschwindet und der Eindruck entsteht, dass es gar keinen echten Widerstand gibt.
Hinzu kommt ein weiterer psychologischer Mechanismus: Die moralische Umkehrung durch Projektion. Das Regime selbst ist es, das Andersdenkende bekämpft und soziale Spannungen erzeugt. Doch anstatt diese Spaltung zuzugeben, wird sie einfach den Kritikern zugeschrieben. Dieses Vorgehen verhindert, dass die Bevölkerung die tatsächlichen Ursachen gesellschaftlicher Unruhe erkennt. Die Strategie funktioniert besonders gut, weil sie auf Emotionen setzt. Wer sich von der Anschuldigung der „Spaltung“ nicht distanziert, wird automatisch als unsolidarisch oder gefährlich gebrandmarkt. Wer sich dagegen wehrt, gerät in einen Rechtfertigungszwang und muss sich für etwas verteidigen, das in Wirklichkeit gar nicht von ihm ausgeht.
Wie kann man sich gegen eine solche Manipulation wehren? Eine Möglichkeit ist, den Diskursrahmen aktiv infrage zu stellen. Wer bestimmt überhaupt, was Spaltung ist? Ist es wirklich eine kritische Meinungsäußerung, die die Gesellschaft auseinanderreißt, oder ist es die aggressive Verfolgung und Diffamierung von Kritikern? Statt die Begriffe der Propagandisten zu übernehmen, sollte man alternative Formulierungen verwenden. Wenn Kritiker als „Spalter“ gebrandmarkt werden, könnte man sie stattdessen als „Wahrheitsverteidiger“ oder „Stimmen der Vielfalt“ bezeichnen. Sprache formt Realität – und wer die Definitionshoheit über Begriffe hat, kontrolliert auch die Wahrnehmung der Menschen.
Eine weitere effektive Technik besteht darin, das Paradoxon dieser Propaganda offen zu legen. Wenn eine Regierung oder eine ideologische Bewegung behauptet, für Einheit einzutreten, aber zugleich Andersdenkende bekämpft, sollte genau darauf hingewiesen werden. Wer Einheit wirklich will, müsste abweichende Meinungen zulassen, nicht unterdrücken. Besonders wirkungsvoll ist es, dies durch Fragen zu verdeutlichen: „Wenn Meinungsvielfalt Spaltung bedeutet, bedeutet dann Gleichschaltung automatisch Einigkeit?“ Solche Fragen zwingen den Gegner, seine eigene Argumentation zu reflektieren oder sich in Widersprüche zu verstricken.
Auch satirische oder ironische Mittel sind oft eine gute Waffe gegen diese Form der Propaganda. Humor entlarvt Widersprüche schneller als jede rationale Argumentation. Memes, Karikaturen oder einfache Umformulierungen helfen, die Mechanismen bloßzustellen, ohne sich in unnötige Rechtfertigungsdiskussionen zu verstricken. Menschen lassen sich nur schwer mit Fakten überzeugen, aber wenn sie über eine Manipulation lachen müssen, haben sie sie bereits durchschaut.
Letztlich ist auch dezentrale Kommunikation entscheidend. Wenn es nur eine zentrale Oppositionsbewegung gibt, ist sie leicht zu diffamieren und zu zerstören. Wenn jedoch viele kleine, unabhängige Gruppen und Einzelpersonen Informationen teilen, lassen sich Narrative nicht so einfach kontrollieren. Der Schlüssel zur Widerstandsfähigkeit gegen solche Techniken liegt also darin, den Kampf um die Sprache nicht aufzugeben, Widersprüche klar aufzuzeigen und alternative Kommunikationswege zu nutzen.
Die Methode, jede abweichende Meinung als „Spaltung“ zu diffamieren, ist deshalb so gefährlich, weil sie Menschen gegen ihre eigene Freiheit manipuliert. Doch wer ihre Mechanismen durchschaut, kann sich ihr entziehen – und vielleicht auch andere dazu ermutigen, nicht länger blind einer künstlichen „Einheit“ zu folgen, die in Wahrheit nichts anderes ist als eine Form der geistigen Unterwerfung.

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