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Ein neuer Flächenbrand im Nahen Osten – und was er für Europa bedeutet

Während Europa noch mit den Nachwehen des Ukrainekriegs, globalen Lieferengpässen und dem Aufstieg Chinas beschäftigt ist, beginnt sich im Schatten des syrischen Bürgerkriegs ein neuer geopolitischer Konflikt abzuzeichnen – einer, der das Potenzial hat, die gesamte Ordnung des Nahen Ostens zu erschüttern: Israel und die Türkei steuern auf eine Konfrontation zu.

Vom Regimewechsel zur Großmachtambition

Mit dem Fall von Baschar al-Assad im November 2024 ist eine Ära im Nahen Osten zu Ende gegangen – und eine neue beginnt. Die Rebellen, die Damaskus stürmten, wurden maßgeblich von der Türkei unterstützt. Doch während in westlichen Hauptstädten noch von „Freiheit“ und „Demokratie“ geträumt wird, erkennen Strategen in Tel Aviv ein viel gefährlicheres Szenario: Ein Syrien als türkischer Vasallenstaat.

Israel hat diese Entwicklung als strategische Zäsur erkannt. Erstmals seit Jahrzehnten wird nicht mehr Iran, sondern die Türkei als größter regionaler Rivale betrachtet. Ankara verfolgt eine expansive, neo-osmanische Außenpolitik, nutzt Machtvakuum und ethnische Spannungen – und droht, das Machtgleichgewicht im Nahen Osten zu kippen.

Israel reagiert mit Präzision und Härte

Noch bevor sich in Syrien eine stabile Nachkriegsordnung etablieren konnte, griff Israel zu einer radikalen Strategie: Luftschläge gegen syrische Militärbasen, gezielte Bodenoperationen in den Süden des Landes, Unterstützung ethnischer Minderheiten wie der Drusen. Ziel: Die Entstehung eines pro-türkischen Staates verhindern – koste es, was es wolle.

Der Aufbau einer Pufferzone südlich von Damaskus, das Andeuten neuer Siedlungspläne, sowie eine strategische Annäherung an kurdische Milizen zeigen deutlich: Israel bereitet sich auf einen neuen Stellvertreterkrieg vor.

Ein Stellvertreterkrieg mit explosivem Potential

Was wir beobachten, ist der Beginn eines neuen kalten Kriegs im Nahen Osten – diesmal zwischen zwei NATO-Mitgliedern: Israel und der Türkei. Es ist ein ideologischer, strategischer und wirtschaftlicher Konflikt, der nicht nur Syrien, sondern auch Jordanien, den Libanon und den Irak zu Spielbällen macht.

Dabei geht es nicht nur um Macht oder Einfluss – sondern um nichts Geringeres als die Frage, wer die zukünftige Ordnung der Region definiert.

Die Bedeutung für Europa und Deutschland

Auch wenn der Krieg (noch) nicht direkt auf europäischem Boden stattfindet, sind die Konsequenzen für Deutschland und Europa enorm:

  • Flüchtlingswellen: Ein neuer Krieg in Syrien würde Hunderttausende erneut zur Flucht zwingen. Jordanien, der Libanon – ohnehin am Limit – könnten kollabieren. Der Migrationsdruck auf Europa würde dramatisch steigen.
  • Energiepreise: Die Türkei kontrolliert strategische Pipeline-Korridore, durch die auch ein erheblicher Teil von Israels Energieversorgung läuft. Ein Krieg würde die Preise explodieren lassen – besonders kritisch für Deutschland, das sich immer noch von russischer Energie entwöhnt.
  • NATO-Spaltung: Zwei NATO-Mitglieder in einem offenen oder verdeckten Krieg – das stellt das Bündnis vor eine Zerreißprobe. Berlin müsste sich zwischen Ankara und Tel Aviv positionieren – ein sicherheitspolitischer Alptraum.
  • Terrorgefahr: Jede Eskalation in der Region bietet islamistischen Gruppen neue Möglichkeiten. Der Zerfall staatlicher Ordnung in Syrien könnte ein Comeback von al-Qaida & Co. bedeuten – mit potenziellen Anschlagsrisiken auch in Europa.

Ein Dilemma der Werte und Interessen

Die Bundesregierung steht vor einer altbekannten Frage: Realpolitik oder wertebasierte Außenpolitik? Die Türkei ist ein ökonomisch und strategisch wichtiger Partner – aber auch ein Machtfaktor mit zunehmend autoritärem Kurs. Israel wiederum gilt als demokratischer Verbündeter – jedoch mit wachsender internationaler Kritik für sein Vorgehen in den Palästinensergebieten.

Was, wenn beide in einem Krieg stehen? Was, wenn beide Waffen fordern, Diplomatie sabotieren, Bündnisverpflichtungen einfordern?

Fazit: Europa darf nicht länger Zuschauer sein

Der Nahe Osten ist dabei, sich neu zu ordnen. Das Kräfteverhältnis verschiebt sich – nicht langsam, sondern mit tektonischer Wucht. Europa kann es sich nicht leisten, zu zögern.

Deutschland muss sich sicherheitspolitisch emanzipieren, klare Interessen formulieren und eine Außenpolitik betreiben, die sowohl realistisch als auch handlungsfähig ist. Der nächste Krieg im Nahen Osten ist nicht nur eine Frage regionaler Machtspiele – er wird Europas Sicherheit, Stabilität und Zukunft mitentscheiden.

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