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IS-Renaissance 2025: Multiregionale Bedrohungsdynamiken und sicherheitspolitische Handlungsfelder

Stand: 22. Mai 2025
Analyse für sicherheitspolitische Fachportale und strategische Entscheidungsträger

Trotz territorialer Verluste und internationaler Bekämpfungsmaßnahmen hat der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) seine Fähigkeit zur asymmetrischen Kriegführung, regionalen Anpassung und globalen Vernetzung bewahrt – und stellt 2025 erneut eine ernstzunehmende transnationale Bedrohung dar. Eine sicherheitspolitische Zwischenanalyse zeigt: Der IS operiert mit erhöhter Koordination, taktischer Innovation und gezielter Wirkung in Schwachstellen staatlicher Ordnungsräume.


1. Westafrika: ISWAP mit territorialem Anspruch und wachsender Drohnenkompetenz

Die „Islamic State West Africa Province“ (ISWAP) verzeichnet operative Erfolge in Nordost-Nigeria. Im Fokus stehen koordinierte Angriffe auf Militärinfrastruktur, gezielte Zerstörung logistischer Knotenpunkte (z. B. Brücken entlang der Achse Biu–Damboa) sowie der Einsatz modifizierter ziviler Drohnen als Waffenträger.

Sicherheitspolitische Bewertung:

  • ISWAP etabliert de facto-Gebietsverwaltung in Teilen Bornos (z. B. Alagarno, Sambisa-Wald).
  • Zunehmende Technologisierung (Drohnen, Verschlüsselung) erhöht die taktische Agilität.
  • Bedarf an robusteren Aufklärungs- und Koordinierungsstrukturen in ECOWAS-Staaten.

2. Syrien: Post-Assad-Vakuum fördert IS-Rückkehr

Seit dem Rückzug großer US-Truppenkontingente (Reduktion auf 700 Soldaten) registrieren die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) einen deutlichen Anstieg von IS-Aktivitäten in Deir ez-Zor, Hasakah und Mayadin. Die Angriffe erfolgen vorrangig durch Schläferzellen in urbanem Umfeld. Besonders relevant: Die Rückkehr zu Angriffen auf verbliebene regierungsnahe Strukturen deutet auf strategische Reorganisationsprozesse hin.

Sicherheitspolitische Bewertung:

  • Schwache staatliche Kontrolle nach dem Machtwechsel begünstigt terroristische Mobilität.
  • Internationale Kräfte verlieren Interventionsfähigkeit in peripheren Regionen.
  • Dringender Bedarf an nachrichtendienstlicher Kooperation mit kurdischen Einheiten.

3. Somalia: Taktischer Schlag gegen IS-Führung – strukturelle Gefahr bleibt

Die Eliminierung von IS-Kader Ahmed Muse Said durch Puntlands Sicherheitskräfte stellt einen operativen Erfolg dar. Said galt als Schnittstelle für Rekrutierungsnetzwerke mit Verbindungen in den Oman und nach Südostasien. Dennoch bestehen nach wie vor Rückzugsräume im Bergland der Bari-Region.

Sicherheitspolitische Bewertung:

  • Führungswechsel allein führt nicht zur strukturellen Schwächung ohne nachhaltige Gebietskontrolle.
  • Gefahr eines strategischen Schulterschlusses mit Al-Shabaab nicht auszuschließen.
  • Internationale Maritime Kräfte (z. B. EU NAVFOR) sollten Küstenvorfälle stärker monitoren.

4. Europa: Der Fall Osama K. – Rückkehrer als mehrdimensionale Bedrohung

Der schwedische Dschihadist Osama K., bereits verurteilt in Frankreich und Belgien, steht nun auch in Schweden wegen Beteiligung an der Ermordung des jordanischen Piloten al-Kasasbeh vor Gericht. Seine transnationalen Aktivitäten und multiplen Verfahren verdeutlichen die Persistenz von Rückkehrerbedrohungen.

Sicherheitspolitische Bewertung:

  • Juristische Aufarbeitung allein genügt nicht zur Prävention erneuter Radikalisierung.
  • Notwendig: vernetzter Ansatz von Strafverfolgung, Resozialisierung und digitaler Überwachung.
  • Schaffung einer EU-weiten Daten- und Fallanalyseplattform dringend geboten.

5. Globale Lagebilder: Türkei, Israel, Indien – operative Rückkehr der Zellenlogik

  • Türkei: 298 Festnahmen im Rahmen einer flächendeckenden Anti-IS-Operation – darunter mutmaßliche Finanz- und Propagandastrukturen.
  • Israel: Zerschlagung einer Terrorzelle in Qabatiya, Sicherstellung umfangreicher Finanzmittel (ca. 65.000 €).
  • Indien/Indonesien: Internationale Kooperation führte zur Festnahme zweier IS-naher Verdächtiger mit Ausbildung in Sprengstofftechnik.

Sicherheitspolitische Bewertung:

  • Regional fragmentierte Zellenstruktur als langfristiges Stabilitätsrisiko.
  • Wachsender Einfluss über digitale Plattformen (u. a. verschlüsselte Netzwerke, Darknet).
  • Notwendig: Standardisierte Bedrohungsindikatoren und Frühwarnsysteme auf multilateraler Ebene.

6. Maritime Bedrohung: Angriff auf russisches Forschungsschiff

Am 10. Mai wurde das russische Schiff Atlantida K-1704 vor der Küste Mosambiks von mutmaßlichen IS-nahen Kräften attackiert. Die zunehmende Unsicherheit in den Gewässern rund um Cabo Delgado zeigt: Der IS strebt Einfluss auch in sicherheitskritische Seehandelszonen.

Sicherheitspolitische Bewertung:

  • Sicherung strategischer Schifffahrtsrouten im Indischen Ozean notwendig.
  • Integration maritimer Terrorlagebilder in zivile Reeder- und Hafenmanagementsysteme sinnvoll.

Schlussbetrachtung: Eine resiliente Terrororganisation im digitalen Zeitalter

Der Islamische Staat zeigt 2025 kein bloßes Überleben, sondern einen systematischen Anpassungsprozess: regionale Spezialisierung, technologische Aufrüstung, globale Narrativsteuerung. Die Bedrohung ist nicht homogen – aber hochdynamisch.

Handlungsfelder für sicherheitspolitische Akteure:

  • Multilaterale Frühwarn- und Analysesysteme ausbauen.
  • Lokale Resilienz durch Governance-Stärkung und Infrastrukturkontrolle fördern.
  • Rückkehrer- und Radikalisierungsprävention EU-weit koordinieren.

Fazit: Der IS ist nicht besiegt – er ist adaptiv, fragmentiert und gefährlich vernetzt. Sicherheitspolitik muss ihn als globale hybride Bedrohung ernst nehmen.

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