Lagebericht Westafrika: Ein Blick aus der Realität
Von André Schmitt, Ex-KSK-Soldat und Sicherheitsexperte
Westafrika – eine Region voller Chancen, aber auch geprägt von tiefgreifenden Herausforderungen. Ich bin erst vor wenigen Tagen aus der Region zurückgekehrt, nachdem ich verschiedene Länder bereist, mit politischen Führungskräften gesprochen und die Sicherheitslage vor Ort selbst erlebt habe. Die Realität sieht oft anders aus als das, was westliche Medien vermitteln. Hier ist mein Lagebericht aus erster Hand:
Sicherheitslage: Pulverfass mit multiplen Brandherden
Westafrika ist derzeit eines der gefährlichsten geopolitischen Spannungsfelder weltweit. Während manche Staaten versuchen, Stabilität zu bewahren, stehen andere kurz vor dem Kollaps:
Mali, Burkina Faso und Niger: Die drei Länder, die sich unter der Allianz der Sahel-Staaten (AES) zusammengeschlossen haben, befinden sich in einem offenen Bruch mit Frankreich und dem Westen. Nach dem Abzug der westlichen Truppen füllen russische Wagner-Söldner das Machtvakuum. Die Sicherheitslage ist fragil, die Bedrohung durch islamistische Gruppen wie JNIM und ISGS bleibt hoch. Trotz militärischer Operationen kommt es fast täglich zu Angriffen auf Sicherheitskräfte und Zivilisten.
Nigeria: Das wirtschaftlich stärkste Land der Region kämpft mit massiven Sicherheitsproblemen. Der Terror von Boko Haram und ISWAP im Nordosten hält an, während kriminelle Banden („Banditen“) im Nordwesten ganze Dörfer terrorisieren. Präsident Bola Tinubu steht unter Druck, die Sicherheitslage zu verbessern, doch bisher scheinen die Maßnahmen unzureichend.
Elfenbeinküste, Ghana, Senegal: Diese Staaten gelten als stabiler, doch auch hier gibt es Warnzeichen. Islamistische Gruppen versuchen, in die Küstenregionen vorzudringen. In Ghana und Senegal gibt es zunehmend Unruhen aufgrund wirtschaftlicher Krisen und politischer Spannungen. Elfenbeinküste ist hier am stabilsten und scheint ein massives Potenzial zu besitzen!
Politische Entwicklungen: Machtverschiebungen und neue Allianzen
Die politische Landschaft Westafrikas verändert sich rasant. Einige Entwicklungen, die besonders ins Auge stechen:
Wandel im Sahel: Die Abkehr von westlichem Einfluss in Mali, Burkina Faso und Niger führt zur Stärkung alternativer Partnerschaften – insbesondere mit Russland, der Türkei und China. Während die ehemaligen Kolonialmächte wie Frankreich an Einfluss verlieren, bauen Moskau und Peking ihre militärische und wirtschaftliche Präsenz massiv aus.
Guinea und Senegal vor Zerreißproben: In Guinea eskaliert der Machtkampf zwischen der Militärregierung und oppositionellen Gruppen. In Senegal hat die Inhaftierung von Oppositionsführer Ousmane Sonko massive Proteste ausgelöst. Präsident Macky Sall musste zurückrudern, doch die Lage bleibt angespannt.
Nigeria als Schlüsselakteur: Nigeria versucht, seine Führungsrolle in Westafrika zu behaupten. Tinubu setzt auf wirtschaftliche Reformen und eine harte Haltung gegen Militärputsche. Doch innenpolitisch steht er unter Druck – die Bevölkerung leidet unter Inflation, Energiekrisen und anhaltender Unsicherheit.
Wirtschaftliche Entwicklung: Zwischen Potenzial und Krisen
Die wirtschaftliche Entwicklung in Westafrika ist stark von politischen Instabilitäten, Rohstoffmärkten und geopolitischen Einflüssen abhängig. Einige zentrale Punkte:
Nigeria am Scheideweg: Trotz seiner wirtschaftlichen Größe steht Nigeria vor großen Herausforderungen. Der Erdölsektor schwächelt, die Inflation liegt über 25 %, und die Währung (Naira) verliert an Wert. Gleichzeitig investiert die Regierung in erneuerbare Energien und versucht, neue Handelsbeziehungen zu erschließen.
Mali, Burkina Faso, Niger – Die neue Wirtschaftsallianz: Die drei Länder haben den westafrikanischen Wirtschaftsbund ECOWAS verlassen und planen eine eigene Währungsunion. Die Idee einer stärkeren wirtschaftlichen Unabhängigkeit von westlichen Institutionen könnte langfristig attraktiv sein, doch kurzfristig fehlt es an Struktur und Kapital.
Rohstoffe als Machtfaktor: Westafrika ist reich an Bodenschätzen – von Gold in Mali und Burkina Faso bis hin zu Uran in Niger und Öl in Nigeria. Doch die wirtschaftliche Entwicklung wird oft von Korruption, politischer Instabilität und externer Einflussnahme behindert. Nur mit einem starken lokalen Netzwerk kommt man hier weit!
Fazit: Eine Region im Umbruch
Westafrika befindet sich in einem historischen Wandel. Die Abkehr von westlichem Einfluss, das Erstarken neuer geopolitischer Akteure und die anhaltenden Sicherheitsprobleme prägen das Bild. Während Länder wie Nigeria, Elfenbeinküste und Ghana versuchen, Stabilität zu bewahren, stehen andere Staaten vor fundamentalen Umbrüchen.
Für Europa und die USA bedeutet dies eine Neuorientierung der Strategie: Der bisherige Ansatz mit militärischer Präsenz und wirtschaftlichen Abhängigkeiten verliert an Wirkung. Ohne eine gezielte und respektvolle Partnerschaft mit den afrikanischen Staaten werden westliche Akteure weiter an Einfluss verlieren – und Russland, China sowie andere Mächte werden die Lücke füllen.
Westafrika ist ein Schauplatz der geopolitischen Auseinandersetzung – und wir sollten genau hinsehen, wohin sich die Region entwickelt.