Meinungsfreiheit unter Generalverdacht
Wenn kritische Stimmen zum Risiko erklärt werden
Es beginnt leise. Mit Begriffen wie „Desinformation“, „Schutz der Demokratie“ oder „Extremismusprävention“. Worte, die harmlos klingen, vernünftig fast. Wer könnte schon etwas dagegen haben, wenn der Staat unsere Gesellschaft vor Radikalisierung schützen will? Doch hinter diesen wohlklingenden Formulierungen verbirgt sich etwas Beunruhigendes – eine schleichende Verschiebung der Grenzen dessen, was gesagt, gedacht und veröffentlicht werden darf. Die Meinungsfreiheit, einst fester Grundpfeiler unseres demokratischen Selbstverständnisses, gerät unter Generalverdacht.
Jüngstes Beispiel: Auf der Digitalkonferenz re:publica erklärte Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU), dass wir „um Regulierung nicht herumkommen“, wenn wir unsere liberale Demokratie schützen wollen. Das klingt nach einer notwendigen Maßnahme – doch was wird hier eigentlich reguliert? Die Verrohung der Sprache? Die Verbreitung strafbarer Inhalte? Oder schlichtweg die Kritik an Regierung, NATO, Wirtschaft oder Krieg? Die Grenze ist dünn. Und sie wird derzeit systematisch verwischt.
Während Prien für ihre Forderung Applaus von Teilen der etablierten Politik bekommt, warnt FDP-Vize Wolfgang Kubicki bereits vor einem „autoritär gefärbten Demokratieverständnis“. Und er hat Recht: Es ist ein gefährlicher Moment, wenn der Staat beginnt, zwischen „guten“ und „schlechten“ Meinungen zu unterscheiden. Wenn er entscheidet, welche Kritik „noch erlaubt“ ist – und welche als potenzielle Bedrohung gebrandmarkt wird.
Das alles geschieht nicht in einer fernen Diktatur, sondern hier, in Deutschland. Und es bleibt nicht bei Worten. Der neue „Grundrechte-Report 2025“ warnt eindringlich: Kommunikationsgrundrechte werden zunehmend eingeschränkt. Protestcamps gegen umstrittene Politikentscheidungen werden gewaltsam geräumt, Versammlungen unter pauschalem Extremismusverdacht verboten. Selbst Künstler, Journalisten und Wissenschaftler geraten ins Visier, wenn sie Positionen vertreten, die vom Mainstream abweichen.
So geschehen im Fall des Publizisten David Bendels, der wegen einer satirischen Fotomontage von Nancy Faeser zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt wurde. Der Vorwurf: Beleidigung. Das Signal: Kritik – selbst in satirischer Form – kann strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie den „falschen“ Nerv trifft. Das erinnert mehr an autoritäre Systeme als an eine lebendige Demokratie.
Parallel dazu plant das Bundesinnenministerium unter eben jener Nancy Faeser eine deutlich verschärfte Überwachung von Demonstranten und Nutzern sozialer Medien, die sich kritisch oder satirisch über die Regierung äußern. Wer den Staat „verhöhnt“, so der Wortlaut, soll künftig gezielt beobachtet werden. Ein Gedanke, der Erinnerungen an vergangene deutsche Überwachungspraktiken weckt, die viele längst überwunden glaubten.
Auch international bleibt das nicht unbemerkt. Deutschland ist in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen jüngst zurückgefallen – auf Platz 11. Gleichzeitig warnt der US-Vizepräsident J.D. Vance öffentlich davor, dass Deutschland unter dem Deckmantel des Demokratieschutzes die Meinungsfreiheit gefährde. Solche Worte aus Washington sind ungewöhnlich – und sollten hierzulande Alarmglocken läuten lassen.
Doch was passiert stattdessen? Kritik wird mit Floskeln abgewiegelt: „Demokratie muss sich wehrhaft zeigen“, heißt es. Doch genau darin liegt das Problem: Eine Demokratie, die sich durch das Wegdrücken kritischer Stimmen zu schützen versucht, ist bereits auf dem Rückzug. Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass jede Meinung richtig ist. Aber sie bedeutet, dass jede Meinung ausgesprochen werden darf – ohne Angst vor Stigmatisierung, Überwachung oder Repression.
Wer heute davon spricht, dass der Frieden eine Option sei, wer Waffenlieferungen kritisch hinterfragt oder auf die Gefahren von Propaganda hinweist, riskiert öffentlich den Ruf. Aus dem Diskurs wird Ausgrenzung. Aus Widerspruch wird Extremismusverdacht. Und aus der offenen Gesellschaft wird – ganz allmählich – ein Ort der stillen Konformität.
Wir sollten uns nicht täuschen lassen: Die Freiheit stirbt nicht mit einem großen Knall, sondern mit vielen kleinen Entscheidungen, Verordnungen, Urteilen – und einem Schweigen, das sich langsam ausbreitet.
Wer Demokratie will, muss Widerspruch aushalten. Auch unbequemen. Auch lauten. Gerade jetzt.