Raumfahrt unter Beschuss – Warum Satelliten zur nächsten Kriegsfront werden
Die Konflikte der Zukunft werden nicht mehr an klassischen Frontlinien ausgetragen. Sie werden dort entschieden, wo der Gegner am verwundbarsten ist – in seinen Kommunikationswegen, seinen Augen, seinen Nervenbahnen. Heute bedeutet das: im Orbit. Während sich viele Staaten auf die Verteidigung ihrer physischen Grenzen konzentrieren, geschieht eine entscheidende Entwicklung jenseits der Atmosphäre – leise, komplex, gefährlich.
Denn Satelliten sind längst nicht mehr nur wissenschaftliche oder militärische Objekte. Sie sind zu einem unverzichtbaren Teil unserer modernen Zivilisation geworden – in Kommunikation, Navigation, Logistik, Aufklärung und Überwachung. Wer sie kontrolliert, kontrolliert die Welt. Wer sie stört, bringt globale Ordnungssysteme ins Wanken.
Der Orbit als neue strategische Zone
Seit 2019 gibt es in den USA die Space Force – nicht aus Prestigegründen, sondern weil die sicherheitspolitischen Planer erkannt haben: Raumfahrt ist kein Symbol nationaler Größe mehr, sondern ein kritischer Schauplatz der Machtprojektion. Immer mehr Staaten und Unternehmen drängen mit ihren Systemen in den Orbit, und das aus gutem Grund.
Satelliten ermöglichen heute:
- präzise GPS-Navigation für Militär und Zivilgesellschaft,
- weltweite Echtzeit-Kommunikation,
- Frühwarnsysteme bei Naturkatastrophen,
- satellitengestützte Finanztransaktionen,
- geostrategische Lagebilder in Echtzeit.
Doch diese Abhängigkeit ist auch eine massive Verwundbarkeit. Mehr als 25.000 aktive Satelliten werden bis 2030 erwartet, die über eine halbe Million Petabyte Daten übertragen. Diese gigantischen Mengen an Informationen sind das Rückgrat globaler Systeme – und ein strategisches Angriffsziel.
Cyberkrieg im All – die neue Dimension der Unsichtbarkeit
Die Vorstellung, dass Satelliten durch Raketen oder Laser zerstört werden, wirkt spektakulär. Doch die reale Bedrohung ist viel subtiler – und oft unsichtbar: Cyberwarfare im Orbit.
Die meisten Satelliten sind über Bodenstationen mit Kontrollzentralen verbunden. Diese Kommunikation läuft über Telemetriekanäle – und genau hier setzen hochentwickelte Angriffe an:
Spoofing, Hijacking, SQL-Injections, Ransomware, Zero-Day-Angriffe.
Satelliten können heute nicht nur geblendet oder abgelenkt werden – sie können übernommen, manipuliert oder als Waffe gegen ihre Betreiber umfunktioniert werden.
Die größte Schwachstelle ist dabei nicht im All – sie liegt am Boden. Viele Bodenstationen sind schlecht gesichert, veraltet oder nicht gegen moderne Angriffsmethoden abgeschirmt. Ein einziger kompromittierter Zugang kann eine ganze Flotte gefährden. Und das ist kein hypothetisches Szenario – es ist heute bereits Teil realer Planspiele und nachrichtendienstlicher Operationen.
Raumfahrt ist längst zur Angriffsfläche geworden
Wir erleben eine neue Art hybrider Bedrohung:
- staatlich orchestrierte Angriffe auf Satelliten, vor allem durch China, Russland und zunehmend auch Iran,
- wirtschaftlich motivierte Sabotage gegen privat betriebene Satellitensysteme,
- und eine wachsende Zahl an Hackernetzwerken, die Satelliten gezielt als Eintrittspunkte in globale Kommunikationsnetze nutzen.
Die Ziele sind vielfältig: Desinformation, Erpressung, Blockade, Aufklärung oder einfach die Demonstration technischer Überlegenheit. Dabei wird nicht selten auch zivile Infrastruktur in Mitleidenschaft gezogen – ob medizinische Systeme, Notfallkommunikation oder globale Logistik.
Sicherheit durch Kooperation – Die Rolle von Public-Private Partnerships
Das Raumfahrt-Ökosystem ist heute ein Netzwerk aus öffentlichen und privaten Akteuren. Regierungsstellen wie die NASA, die U.S. Space Force oder das Air Force Research Lab arbeiten Seite an Seite mit SpaceX, Amazon Kuiper, OneWeb und zahlreichen kleineren Raumfahrtunternehmen. Diese enge Verzahnung ist einerseits eine große Chance für Innovation – andererseits auch ein sicherheitspolitischer Risikofaktor.
Private Betreiber verfügen über immer größere Flotten und Datenmengen, oft ohne denselben Schutzstandard wie staatliche Einrichtungen. Deshalb sind Initiativen wie das Programm „Orbital Watch“ der Space Force so wichtig. Es ermöglicht eine unklassifizierte, aber strukturierte Weitergabe von Bedrohungsinformationen an mehr als 900 registrierte Raumfahrtunternehmen – auch ohne direkte Regierungsverträge.
Zusätzlich engagieren sich Organisationen wie die Space ISAC (Information Sharing & Analysis Center) im Auf- und Ausbau eines branchenübergreifenden Lagebildes – ein notwendiger Schritt, um der Vielzahl an Bedrohungen wirksam begegnen zu können.
Fazit: Der nächste Krieg wird nicht am Boden beginnen – sondern im Orbit
In meiner aktiven Zeit beim KSK galt: Wer das Lagebild dominiert, diktiert den Einsatz. Heute gilt dasselbe Prinzip – nur auf orbitaler Ebene.
Wer Satelliten abschaltet, blendet ganze Staaten aus. Wer Kommunikation unterbricht, entwaffnet Armeen. Wer Positionierungssysteme manipuliert, lähmt Handelsrouten.
Die Raumfahrt ist kein Science-Fiction-Schauplatz mehr – sie ist geopolitische Realität. Und sie ist heute eine der verletzlichsten Zonen unserer globalen Infrastruktur.
Wenn wir diesen Raum nicht aktiv schützen – technologisch, organisatorisch und politisch – dann wird der Himmel nicht mehr unsere Grenze sein. Sondern unser Schwachpunkt.
– André Schmitt
Berater für strategische Frühaufklärung, Resilienz und Sicherheit