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Syrien, HTS und die geopolitischen Auswirkungen: Was Europa und Israel erwartet

Die jüngsten Entwicklungen in Syrien markieren einen kritischen Wendepunkt in der ohnehin fragilen Situation des Nahen Ostens. Am 8. Dezember 2024 übernahm die radikal-islamistische Gruppierung Hayat Tahrir al-Sham (HTS) in einer blitzartigen Offensive die Kontrolle über Damaskus und stürzte damit das Regime von Präsident Bashar al-Assad. Diese dramatische Entwicklung hat weitreichende Konsequenzen, nicht nur für Syrien, sondern auch für Israel, Europa und die gesamte Region.

HTS: Vom Terrornetzwerk zum Machtzentrum

HTS, ursprünglich als Jabhat al-Nusra bekannt, hat tiefe Wurzeln im globalen Dschihadismus und enge Verbindungen zu al-Qaida. Unter der Führung von Abu Mohammad al-Jolani hat sich die Gruppe neu positioniert und versucht, sich als pragmatische Macht mit lokalem Fokus darzustellen. Doch trotz dieser Umgestaltung bleibt der ideologische Kern radikal und gefährlich. Mit der Einnahme von Damaskus, Homs und weiteren Schlüsselstädten hat HTS seine Rolle als dominierende Kraft in Syrien zementiert, was weitreichende sicherheitspolitische Folgen hat.

Die Türkei: Der Traum vom neuen Kalifat

Parallel dazu verfolgt die Türkei unter Präsident Erdoğan ehrgeizige Pläne, sich als Führungsmacht der islamischen Welt zu etablieren. Die Strategie Ankaras deutet darauf hin, dass man ein großes Kalifat unter türkischer Führung anstrebt. Syrien spielt dabei eine Schlüsselrolle: Die Türkei hat nicht nur direkte militärische Interventionen unternommen, sondern auch radikale Gruppen unterstützt, die ideologisch in dieses Konzept passen könnten.

Für Europa bedeutet dies eine verstärkte Bedrohung durch die Destabilisierung der südlichen Nachbarregionen, ein mögliches Wiederaufleben von Migrationswellen und eine weitere Verbreitung extremistischer Ideologien. Israel sieht sich zusätzlich einer verschärften Bedrohung an seinen Grenzen ausgesetzt, besonders in der strategisch wichtigen Region der Golanhöhen.

Israel: Ein neuer Feind vor der Tür

Die Machtübernahme von HTS in Syrien bringt die radikal-islamistischen Kräfte gefährlich nah an Israels Grenzen. Besonders die Golanhöhen, die seit 1967 von Israel besetzt sind, rücken in den Fokus. HTS hat bereits Gebiete im Süden Syriens eingenommen, was die Wahrscheinlichkeit von grenzüberschreitenden Terroranschlägen massiv erhöht. Israelische Sicherheitsbehörden befürchten, dass HTS und andere jihadistische Gruppen die Region als Basis für Angriffe auf israelisches Territorium nutzen könnten.

Um der wachsenden Bedrohung zu begegnen, hat Israel bereits gehandelt: Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) haben eine entmilitarisierte Pufferzone in den Golanhöhen besetzt, die ursprünglich Teil eines Abkommens von 1974 zwischen Israel und Syrien war. Premierminister Netanyahu machte klar, dass Israel keine feindlichen Kräfte in der Nähe seiner Grenzen tolerieren wird. Der Vorstoß der IDF in die Pufferzone unterstreicht Israels strategische Prioritäten und seine Bereitschaft, notfalls präventiv zu handeln.

Europa: Zwischen Ignoranz und Konsequenzen

Für Europa sind die Entwicklungen in Syrien nicht weniger beunruhigend. Die Destabilisierung Syriens könnte zu einer neuen Flüchtlingswelle führen, wobei radikale Elemente die Gelegenheit nutzen könnten, sich unter die Migranten zu mischen. Bereits in der Vergangenheit haben terroristische Netzwerke in Europa Fuß gefasst, indem sie die Schwächen in den Asyl- und Migrationssystemen ausgenutzt haben. Die Türkei, die sich als Beschützerin der Muslime in Syrien inszeniert, könnte diese Dynamik zusätzlich für geopolitische Hebelwirkung nutzen.

Europa steht vor der Herausforderung, die Sicherheitslage in der Region ernst zu nehmen, ohne in direkten militärischen Konflikt mit regionalen Mächten wie der Türkei oder Israel zu geraten. Gleichzeitig muss der Kontinent seine interne Stabilität bewahren und sich besser gegen die Risiken des globalen Terrorismus wappnen.

Fazit: Ein instabiles Gleichgewicht

Die Entwicklungen in Syrien, der Aufstieg von HTS und die türkischen Ambitionen, ein neues Kalifat zu errichten, zeichnen ein besorgniserregendes Bild. Für Israel sind die Bedrohungen greifbar und akut, während Europa langfristig unter den Auswirkungen dieser geopolitischen Verschiebungen leiden könnte.

Die internationale Gemeinschaft steht vor einer schwierigen Aufgabe: Sie muss Wege finden, um den radikalen Kräften in Syrien entgegenzuwirken, ohne weitere Konflikte zu schüren. Doch die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Welt oft eher zusieht, bis es zu spät ist. Die nächsten Monate werden entscheidend sein, um zu bestimmen, ob Syrien und die Region eine Chance auf Stabilität haben – oder ob sie in die Hände radikaler Kräfte fallen.

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