Vom Souverän zum Verdächtigen – Wenn Kritik kriminalisiert wird
Autor: André Schmitt (Ex-KSK, Profiler und Mediator)
Früher war Kritik ein Zeichen von politischer Reife. Heute ist sie ein potenzieller Gefahrenhinweis. Was in einer stabilen Demokratie selbstverständlich sein sollte – das Infragestellen von Entscheidungen, das Äußern von Zweifel, das Fordern von Transparenz – wird zunehmend als Angriff auf den Staat gewertet. Und der Bürger, der diese Kritik formuliert, rückt dabei immer öfter ins Visier.
Wir leben in einem Zeitalter, in dem sich die Sprache verändert hat. Begriffe wie „Staatsdelegitimierer“, „Extremismus der Mitte“ oder „verfassungsschutzrelevante Kritik“ haben sich in den Diskurs geschlichen – ohne klare Definition, aber mit klarer Wirkung. Sie schaffen Unsicherheit. Sie markieren ein Meinungsfeld, das plötzlich gefährlich geworden ist. Nicht, weil es zu Gewalt aufruft. Sondern, weil es unbequem ist.
Dabei war der kritische Bürger einst das Herzstück einer funktionierenden Demokratie. Er war der Korrektiv, der Mahner, der wache Geist, der verhindert, dass Macht in Selbstzufriedenheit und Arroganz erstarrt. Heute steht dieser Typ Mensch unter Generalverdacht. Wer zu viel fragt, zu viel recherchiert, zu laut denkt – wird schnell in die Nähe von „Verschwörungstheorien“, „Radikalität“ oder gar „staatsfeindlichen Tendenzen“ gerückt.
Diese Entwicklung ist leise, aber konsequent. Sie erfolgt nicht durch offene Zensur, sondern durch soziale, mediale und administrative Repression. Man verliert den Job nicht wegen seiner Meinung – aber plötzlich wird ein Vertrag nicht verlängert, ein Projekt gestrichen, eine Plattform gesperrt. Man wird nicht verhaftet – aber beobachtet. Nicht mundtot gemacht – aber marginalisiert.
Hinzu kommt: Der Staat baut seine Mittel systematisch aus. Überwachung, Verfassungsschutz, neue Straftatbestände und digitale Filtertechniken werden nicht mehr nur gegen echte Gefahren eingesetzt, sondern auch gegen Andersdenkende. Die Grenze zwischen legitimer Sicherheit und politischer Kontrolle verschwimmt. Und genau das ist das Problem.
Denn der Bürger, der sich ohnmächtig, eingeschüchtert oder diffamiert fühlt, wird nicht automatisch staatsfeindlich – aber er zieht sich zurück. Er resigniert. Oder er sucht sich radikalere Räume, in denen er gehört wird. Das ist kein Zufall. Es ist ein systemischer Fehler.
Der Staat muss Kritik nicht lieben. Aber er muss sie aushalten. Wer seine Kritiker zu Feinden erklärt, verschiebt die demokratische Achse – und zwar weg von der offenen Gesellschaft hin zur autoritären Verwaltung der Meinung.
Der Bürger war nie der Feind. Der Feind ist die Arroganz der Macht, die keine Gegenstimme mehr duldet.
Wenn eine Gesellschaft beginnt, Meinungen zu bewerten statt Argumente zu prüfen, steht sie am Beginn einer gefährlichen Entwicklung. Es ist kein lauter Umbruch. Kein Militärputsch. Kein Diktator, der die Bühne betritt. Es ist ein stilles, schleichendes Verblassen von Freiheit – von innen heraus.
Und genau deshalb ist Wachsamkeit keine Radikalität. Sondern Verantwortung.