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Wenn der Ausnahmezustand beginnt – Wie Menschen wirklich fliehen

Von André Schmitt – Ex-KSK, Profiler und Mediator

Wenn alles still wird und dann plötzlich laut. Wenn der Strom ausfällt, Sirenen zucken, Straßen flackern, Menschen rennen. Wenn der Ernstfall da ist – dann zeigt sich nicht, wer du warst, sondern wer du bist.

Flucht ist kein bloßer Ortswechsel. Sie ist ein psychologisches Ereignis, ein Muster aus Instinkt, Prägung und mentaler Vorbereitung. Und genau deshalb unterscheiden sich Menschen fundamental in ihrem Fluchtverhalten. In meinen Trainings für Sicherheitskräfte, Führungskräfte und Zivilisten beobachte ich immer wieder dieselben Muster. Wer sie erkennt, schützt sich nicht nur selbst – sondern wird auch nicht zur Last für andere.

Der Panikläufer – Getrieben von Emotion, nicht von Richtung

Er ist der Erste, der losrennt – und meistens nicht der Erste, der ankommt. Sein Instinkt übernimmt die Führung, sein Verstand schaltet ab. Er will weg. Nicht zu einem Ziel, sondern weg von einem Gefühl. Der Panikläufer zieht andere mit, reißt Strukturen ein, löst Kettenreaktionen aus. Nicht aus Bosheit, sondern aus Überforderung.

Doch in einer Welt, in der Bewegung Sicherheit bedeuten kann – oder Untergang – ist unkontrollierte Bewegung das gefährlichste Verhalten überhaupt.

Der Taktiker – Leise, klar, unbeirrbar

Er plant nicht aus Angst, sondern aus Verantwortung. Er kennt Alternativen, verfolgt Wege, beobachtet, bleibt wachsam. Der Taktiker wirkt oft unauffällig, fast unspektakulär – und genau deshalb überlebt er. Er reagiert nicht auf Lautstärke, sondern auf Signale. Er kennt den Unterschied zwischen Risiko und Gefahr. Und er entscheidet. Schnell, sachlich, ruhig.

Wer ein Taktiker sein will, braucht nicht nur Material – sondern ein klares inneres Raster. Reizkontrolle, Entscheidungsstärke, Handlungsfähigkeit.

Der Schleicher – Tarnung statt Konfrontation

Er sucht keine Konfrontation, sondern die Deckung. Der Schleicher ist kein Feigling – er ist Beobachter. Er weiß, dass der, der sich nicht zeigt, oft überlebt. Er nutzt Schatten, Umwege, hört mehr als er redet. In urbanen Szenarien ist der Schleicher oft der erfolgreichste Fluchtcharakter – solange er nicht zögert, wenn eine Entscheidung nötig wird.

Der Nachteil: Er kann sich isolieren. Chancen nicht nutzen. Doch in einer überfüllten, aufgeladenen Welt ist der, der nicht auffällt, oft der, der ankommt.

Der Mitläufer – Richtungsblind in der Masse

Er will keinen Fehler machen – also folgt er. Dem Lautesten. Der Masse. Der Mehrheit. Der Mitläufer hat keinen eigenen Plan, aber auch keine böse Absicht. Doch in einer Situation, in der Führung gefragt ist, kann er zur Gefahr werden – nicht, weil er böse ist, sondern weil er dich bremst, dich braucht, dich möglicherweise ausliefert.

Manche Mitläufer lassen sich führen – andere blockieren alles. Entscheide früh, ob du diesen Menschen mitnehmen kannst oder dich trennen musst.

Der Saboteur – Die unterschätzte Gefahr von innen

Er kommt ruhig daher. Manchmal hilflos, manchmal ironisch, oft abwartend. Doch irgendwann kippt er. Der Saboteur hat selbst nichts vorbereitet – aber will von deinen Ressourcen profitieren. Oder sie dir nehmen. Er untergräbt stille Autoritäten, zweifelt an Entscheidungen, stört Abläufe. Nicht frontal, sondern schleichend. Und wenn sich die Lage zuspitzt, wird er entweder passiv-aggressiv – oder aktiv destruktiv.

Erkenne ihn früh. Vertraue nicht auf seinen äußeren Tonfall, sondern auf seine Haltung. Und wenn du führen willst, dann: Zeige nicht alles, was du hast.

Der Erstarrte – Wenn der Mensch einfriert

Er sieht, was passiert. Aber er reagiert nicht. Er bleibt auf dem Sofa, am Fenster, an der Supermarktkasse. Der Erstarrte ist nicht dumm – er ist überfordert. In Stresslagen schaltet sein Körper in eine Überlebensstrategie, die früher gegen Tiger half: reglos bleiben, hoffen, dass der Sturm vorbeizieht.

In heutigen Krisen aber ist Erstarrung oft fatal. Du wirst ihm begegnen. Und du musst entscheiden: Aktivierst du ihn – oder lässt du ihn zurück?


Wer bist du – wenn es ernst wird?

Diese Typen sind keine Schubladen. Kein Mensch ist immer gleich. Aber unter Stress zeigen sich Muster. Und diese Muster entscheiden, ob du überlebst – oder ausgebremst wirst.
Ob du führst – oder geführt wirst.

Die meisten Menschen reagieren – wenige agieren. Doch genau das musst du lernen: Vom Reaktor zum Taktiker zu werden.
Du brauchst kein Held zu sein. Du brauchst nur Struktur. Klarheit. Und die Bereitschaft, dir selbst ehrlich in die Augen zu schauen.

Krisenvorsorge beginnt nicht im Keller. Sie beginnt im Kopf.
In deiner Haltung. Deiner Klarheit. Und deinem Willen, nicht Teil des Problems zu werden – sondern Teil der Lösung.


André Schmitt
Ex-KSK | Profiler | Mediator
„In der Krise bleiben nicht die Lauten stehen. Sondern die, die vorher still dachten.“

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