Wirtschaftskrieg 2.0 – Die neuen Frontlinien verlaufen durch die Lieferkette
Von André Schmitt – ehemaliger KSK-Soldat, heute Profiler und Mediator
Es beginnt nicht mit einem Knall. Kein Einschlag, kein Fernsehbild von brennenden Städten, keine formelle Kriegserklärung. Es beginnt mit einem leeren Regal. Mit einem verspäteten Container. Mit einem Produkt, das plötzlich doppelt so viel kostet. Und mit einer Bevölkerung, die sich fragt, wie das alles so schnell passieren konnte. Willkommen im Zeitalter des Wirtschaftskriegs, einer neuen Form der globalen Auseinandersetzung, bei der nicht mehr Soldaten in Uniform an der Front stehen, sondern Rohstoffe, Transportwege und Lieferketten zur Waffe werden.
Der moderne Krieg wird leise geführt – in Konferenzräumen, auf Servern, in diplomatischen Nebensätzen. Wer glaubt, dass Krieg heute noch zwingend mit militärischer Gewalt einhergeht, lebt in einem gefährlichen Irrtum. Tatsächlich hat sich das geopolitische Kräftemessen längst in andere Sphären verlagert – dorthin, wo es schwer zu erkennen, aber umso wirksamer ist. Staaten, Großkonzerne und supranationale Akteure setzen gezielt wirtschaftliche Hebel ein, um Abhängigkeiten zu schaffen, Gegner zu destabilisieren oder politische Ziele zu erzwingen – ohne einen einzigen Schuss abzugeben.
Als ehemaliger KSK-Soldat habe ich gelernt, dass der gefährlichste Gegner nicht der ist, der frontal angreift, sondern der, der die Spielregeln ändert. In meiner heutigen Arbeit als Profiler und Mediator beobachte ich, wie genau das derzeit auf globaler Ebene geschieht. Die Spielregeln des Weltmarkts werden neu geschrieben – unter dem Deckmantel von Krisen, Versorgungssicherheit und strategischer Autonomie.
Der wirtschaftliche Schlagabtausch zwischen China und dem Westen ist dafür ein Paradebeispiel. Während westliche Länder auf freie Märkte und Handel vertrauten, sicherten sich strategisch denkende Staaten still und effektiv den Zugriff auf entscheidende Ressourcen. China kontrolliert heute den Großteil der weltweiten Verarbeitung seltener Erden – unverzichtbar für moderne Technologien wie Smartphones, Batterien, Windräder und Rüstungsgüter. Wer diese Ressourcen besitzt oder ihren Fluss kontrolliert, bestimmt das Tempo der Weltwirtschaft. Und wer abhängig ist, kann erpresst werden.
Doch das ist nur ein Teil des Bildes. Auch der russische Gashebel war ein deutliches Signal: In dem Moment, in dem sich Europa wirtschaftlich von einem einzigen Lieferanten abhängig gemacht hatte, wurde aus Energie ein Druckmittel. Die Auswirkungen? Inflation, soziale Spannungen, politische Umbrüche. Und das alles ohne eine klassische Invasion.
Ein weiteres Beispiel sind die weltweiten Transportknotenpunkte – der Suezkanal, das Rote Meer, die Straße von Hormus oder die Taiwanstraße. All diese Regionen sind nicht nur geographisch eng, sondern politisch hochbrisant. Ein einziger Vorfall – ein blockierter Frachter, ein Angriff auf einen Tanker, ein inszenierter Zwischenfall – kann ausreichen, um globale Lieferketten ins Straucheln zu bringen. Und während die breite Masse über gestiegene Preise klagt, verstehen nur wenige, dass es sich hier um ein kalkuliertes Schachspiel handelt, bei dem jede Verzögerung, jede Verknappung ein bewusster Zug sein kann.
Auch die Halbleiterindustrie ist inzwischen ein strategisches Kriegsgebiet. Taiwan, ein geopolitischer Zankapfel und zugleich Heimat der weltweit führenden Chip-Produzenten, sitzt auf einem technologischen Schatz. Sollte es hier zu einem Konflikt kommen – ob durch Blockade oder militärische Aktion –, würde die gesamte westliche Technologieproduktion in kürzester Zeit in die Knie gehen. Smartphones, Autos, Maschinen, selbst militärische Systeme wären betroffen. Der Schaden wäre unermesslich.
Diese Entwicklungen zeigen eines sehr deutlich: Die Frontlinien der Zukunft verlaufen nicht mehr entlang von Staatsgrenzen, sondern durch Handelsrouten, Ressourcenströme und Logistikketten. Und sie verlaufen mitten durch unseren Alltag. Wenn dein Paket sich verspätet, wenn dein Supermarkt plötzlich Rationierungen einführt, wenn Medikamente nicht mehr lieferbar sind – dann bist du nicht Zuschauer, sondern Beteiligter. Der Krieg hat dich längst erreicht, nur dass er anders aussieht als früher.
Was bedeutet das für den Einzelnen? Aus meiner Sicht ist es heute wichtiger denn je, sich unabhängig zu machen – geistig, materiell und strategisch. Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass alles verfügbar, bezahlbar und berechenbar bleibt. Wer weiter in Sicherheit leben will, muss vorausdenken. Es geht nicht um Angst, sondern um Verantwortung. Verantwortung für sich selbst, für die Familie, für das direkte Umfeld.
Wirtschaftskrieg bedeutet, dass nicht mehr Panzer entscheiden, sondern Planung. Nicht mehr Stärke, sondern Abhängigkeit. Und genau darin liegt unsere größte Schwäche – oder unser größter Hebel. Wer sich vorbereitet, wer Zusammenhänge erkennt, wer sein eigenes Netzwerk und seine eigenen Ressourcen aufbaut, wird auch in turbulenten Zeiten stabil bleiben. Wer weiter an die Illusion unbegrenzten Wohlstands glaubt, wird bitter enttäuscht werden.
Wir stehen nicht am Anfang einer neuen Phase. Wir stecken mittendrin. Und es ist höchste Zeit, dass wir uns dessen bewusst werden.
— André Schmitt