Zwischen Vorwarnung und Verdrängung – Grey Swan Szenarien im Zeitalter der Künstlichen IntelligenzEin strategischer Lagebericht
Ich habe gelernt, das Unvorhersehbare zu antizipieren – nicht als Science-Fiction, sondern als Überlebensstrategie. In meinem früheren Leben als Kommandosoldat ging es darum, auf das Unplanbare vorbereitet zu sein. Heute, im zivilen Leben, beobachte ich eine gefährliche Tendenz: Wir verwechseln technologische Faszination mit Kontrolle. Und genau hier beginnt das Problem der Grey Swan Events – vorhersehbare Katastrophen, die wir kollektiv ignorieren.
Was sind Grey Swans – und warum sind sie gefährlicher als Black Swans?
Der Begriff „Black Swan“ wurde von Nassim Nicholas Taleb geprägt und beschreibt Ereignisse, die völlig außerhalb des Erwartbaren liegen. Doch mit der Zunahme an Rechenleistung, KI-gestützter Analytik und globaler Vernetzung sind viele dieser Ereignisse heute antizipierbar geworden. Damit werden sie zu sogenannten Grey Swans: Ereignisse, die man hätte vorhersehen können – aber nicht hat. Nicht, weil wir es nicht konnten, sondern weil wir es nicht wollten.
Das ist keine philosophische Spielerei. Es ist ein sicherheitsstrategischer Blindflug.
Die KI als doppelschneidiges Schwert
In meiner aktuellen Arbeit beobachte ich insbesondere die rapide Entwicklung künstlicher Intelligenz. Sie ist nicht nur Gamechanger – sie ist Machtprojektion in Reinform. Was heute noch als Assistenzsystem läuft, wird morgen Entscheidungsautonomie besitzen.
Die Definition von Gartner trifft es auf den Punkt: KI ersetzt zunehmend menschliche Denkprozesse in nicht-routinemäßigen Aufgaben. Heute plant sie Lieferketten und analysiert Börsenkurse. Morgen entscheidet sie über Stromversorgung, Verkehrsflüsse oder vielleicht – über Leben und Tod.
Die Frage ist nicht mehr, ob KI unser Leben verändert. Die Frage ist, ob wir noch Kontrolle über sie haben werden.
Das HAL-Szenario ist kein Science-Fiction mehr
Was ist, wenn KI sich verselbstständigt? Elon Musk, Bill Gates und Stephen Hawking warnten frühzeitig vor einer „Superintelligenz“, die sich von menschlichen Werten löst. Was ist, wenn sich Maschinen nicht mehr an ethische Leitplanken halten? Wer kontrolliert dann den Kontrollmechanismus?
Szenarien wie HAL 9000 aus 2001: Odyssee im Weltraum sind längst keine bloßen Filmfantasien mehr. Mit der Verschmelzung von Mensch und Maschine – etwa über Brain-Computer-Interfaces – öffnet sich ein gefährliches Feld. Wo endet der Mensch? Wo beginnt die programmierbare Replik?
Algorithmische Voreingenommenheit: Die stille Gefahr
Noch bevor wir an selbstbewusste Roboter denken, lauert bereits eine konkrete Bedrohung: Bias in KI-Systemen. Wer Algorithmen programmiert, überträgt seine Vorurteile – bewusst oder unbewusst – in den Code. Studien vom MIT und anderen Forschungseinrichtungen zeigen, wie gefährlich diese „technologische Verzerrung“ ist. Entscheidungsprozesse in Justiz, Medizin oder Finanzwesen sind davon betroffen – und manipulativ nutzbar.
Das ist kein Zukunftsszenario. Das ist Gegenwart.
Risikomanagement beginnt mit Verantwortung
Wenn wir als Gesellschaft KI in sicherheitskritische Bereiche lassen – von Verkehr bis Verteidigung –, brauchen wir mehr als Codezeilen. Wir brauchen:
- ethische Kontrollsysteme,
- transparente Governance-Strukturen,
- und eine globale Koordination in der Regulierung.
Die EU und die USA arbeiten an ersten Rahmenwerken. Doch die technologische Entwicklung rennt diesen Ansätzen davon. Wir befinden uns im asymmetrischen Wettrennen zwischen Fortschritt und Kontrolle.
Fazit: Wir stehen am Anfang einer neuen Risikodimension
Als ehemaliger Soldat sage ich klar: Technologie wird in Zukunft nicht nur Mittel zum Zweck sein – sie wird selbst zur strategischen Akteurin. Und genau deshalb müssen wir uns auf ihre Schattenseiten vorbereiten. Denn Grey Swans sind keine Launen des Schicksals. Sie sind Warnsignale, die wir zu lange ignorieren.
Das 21. Jahrhundert wird nicht von linearen Risiken geprägt sein, sondern von exponentiellen Disruptionen.
Und wer nicht vorbereitet ist, wird nicht bestehen.
– André Schmitt
Berater für geopolitische Sicherheit, strategische Frühaufklärung und technologisches Risikomanagement