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Blackout Fiktion Tag 3 – kein Krisenmanagement

Herr Bock wird von seinem knurrenden Magen geweckt. Er hat Angst und schlecht geschlafen. In den letzten  Tagen hat er nur unregelmäßig  gegessen und er sehnt sich nach einer Dusche. Doch wieder bleibt das Licht aus und aus dem Wasserhahn kommt nur ein Glucksen. Es gibt immer noch kein richtiges Krisenmanagement. Immer wieder aufs Neue wird ihm klar wie abhängig sein gesamtes Leben vom Strom ist. Seine Lebensgefährtin Frau Müller schläft noch tief und fest. Er wird Sie gleich wecken müssen, da sie gemeinsam in der Früh nach Ihren Nachbarn schauen wollen.

Schwieriger Morgen

Missmutig nimmt Herr Bock seine beiden Eimer und geht hinunter zu dem kleinen Teich um Wasser zu holen. Dort angekommen sieht er viele weitere Menschen, die alle unterschiedlichsten Gefäße mit dem schlammigen Wasser füllen. Er fühlt sich schwach, als er die beiden vollen Eimer durch das Treppenhaus trägt. Die Griffe der schweren Eimer schmerzen. In der Wohnung geht Herr Bock nun zur Toilette. Allerdings fließt das Wasser aus dem Eimer diesmal nur sehr langsam ab. Da die Hausbewohner wohl größtenteils noch auf die Toiletten gehen, aber nur per Hand nachspülen können, verstopfen die Rohre. Auch das noch. Die Vorstellung unbestimmte Zeit einen Eimer als Toilette zu verwenden will sich Herr Bock lieber nicht ausmalen. Er weckt seine Lebensgefährtin und macht ein Frühstück aus zwei Schokoriegeln und einer Konservendose Thunfisch. Die beiden reden kaum miteinander und doch spürt jeder die Hilflosigkeit des anderen. Sie versichern sich zwar, dass sicher bald alles überstanden sein wird aber glauben Ihren Worten selbst kaum.

Frau Mueller sagt, dass Sie auch heute wieder ins Krankenhaus gehen wird. Ihre Patienten brauchen sie und als Angestellte hat sie die Aussicht auf eine Grundversorgung während der Arbeitszeit. Außerdem hat sie die Möglichkeit im Krankenhaus Nachrichten zu hören, da es zum einen ein Radio gibt, zum anderen viele Polizisten und Sanitäter Neuigkeiten von ihren Runden mitbringen und auch etwas zum allgemeinen Krisenmanagement sagen können. Sie kann nichts versprechen, will aber versuchen wieder ein paar Kleinigkeiten zum Essen und Trinken mitzubringen. Herr Bock will heute mit dem Rad etwas außerhalb der Stadt fahren. Er hofft in einem der umliegenden Dörfer Geschäfte zu finden, die nicht geschlossen sind. Mit diesem  Plan starten sie in Ihren Tag.

Sie besuchen Frau Schneider und Ihren Mann nebenan. Der Mann schläft nun fast durchgängig und kann sich nicht mehr verständlich machen. Frau Mueller verspricht ihr zwar, auf Arbeit im Krankenhaus alle Hebel in Bewegung zu setzen um Hilfe zu schicken, in ihrem Inneren jedoch weiß sie schon, dass diese Mühen vergeblich sind. Viel zu viele vermeidbare Unglücke hat sie in den letzten 48 Stunden gesehen und sie weiß, wie beschränkt die Möglichkeiten des Krankenhauses sind Hilfe zu leisten.

Im Dorf funktioniert es anders

Herr Bock radelt nun auch los, ohne Plan, ohne Ziel. Heute sind kaum noch Autos auf den Straßen. Da niemand wirklich arbeiten kann und viele Stadtbewohner auch keinen vollen Tank hatten wird der Verkehr weniger. Dennoch sieht Herr Bock noch die Folgen des Chaos. An vielen großen Kreuzungen sind verunfallte Wagen nur aus dem Weg geschoben worden, um die Straßen frei zu machen. Abgeschleppt wurde jedoch keines. Nach über einer Stunde radeln, die ihm mit seinem leeren Magen extrem schwer fallen, wundert sich Herr Bock. Ein vertrauter aber dennoch unwahrscheinlicher Geruch lockt ihn wie magisch an. Es riecht nach Grill. Als er an einem Grundstück am Rande der Ortschaft ankommt traut er seiner Nase und Augen kaum. Berge von Fleisch liegen auf dem Grill und duften verführerisch. Die Leute hinter dem Zaun machen einen freundlichen Eindruck und so traut sich unser Held zu fragen was es mit dem Überfluss für eine Bewandtnis hat. Er erfährt, dass wohl auch hier im Ort der Strom ausgefallen ist, die große, volle Kühltruhe der Hausbewohner aber deutlich länger kalt geblieben ist als das kleine Kühlfach von Herrn Bock. Da nun das Fleisch aber beginnt anzutauen haben die Leute beschlossen erst einmal alles Verderbliche zu garen, um die Haltbarkeit zu verlängern. Alles in Allem machen die Menschen hier keinen allzu besorgten Eindruck und das Krisenmanagement funktioniert hier irgendwie wesentlich besser, als in der Stadt.

Auf dem Dorf hilft man sich, erfährt Herr Bock, und jeder in der Straße gibt was er hat, um gemeinsam durch die Krise zu kommen. Ein Nachbar hat wohl Kerzen verteilt, ein anderer hat einen Brunnen aus dem sich die Leute der Straße bedienen dürfen. Ein Notstromaggregat ist im Straßenzug vorhanden und betreibt abwechselnd einen großen Kühlschrank, den die Bewohner gemeinsam nutzen, die Pumpe des Brunnens und lädt ein Handy sodass man gleich erfahren wird, wenn der Strom zurückkehrt. Da fast jeder etwas Treibstoff für Gartengeräte gelagert hat,  ist der Betrieb vorerst gesichert. Und so ist durch den Zusammenhalt das Leben hier zwar anders geworden aber erträglich. Herr Bock ist beeindruckt und ein wenig neidisch. Gemeinsam schultert die Nachbarschaft hier was andernorts die Welt auf den Kopf stellt. Die Leute haben Mitleid mit Herrn Bock und so darf er sich ein paar PET-Flaschen mit Wasser füllen und bekommt sogar noch vier gegrillte Würstchen für sich, seine Lebensgefährtin und die Nachbarn eingepackt. Herr Bock verspricht sich erkenntlich zu zeigen sobald es ihm möglich ist und tritt die Heimreise an.

Auf dem Heimweg wird ihm mulmig, zwar spricht ihn niemand an aber sobald er durch die Stadt fährt spürt er die Blicke, die ihm folgen. Ebenso wie ihm hat der Hunger auch anderen Menschen die Sinne geschärft und so scheinen die Leute im Vorbeifahren zu riechen, was sich in seinem Fahrradkorb befindet. Er beeilt sich nach Hause zu kommen.

Die Hiobsbotschaft

Freudestrahlend betritt er die Wohnung, um sogleich von der Realität eingeholt zu werden. Seine Nachbarin Frau Schneider sitzt mit seiner Lebensgefährtin im Wohnzimmer und weint. Ihr Mann ist tatsächlich gestorben und sie steht vor dem Nichts. Herr Bock hat Mitleid, gleichzeitig lässt ihm der Geruch des Essens das Wasser im Mund zusammenlaufen und er kann sich kaum auf das Gespräch konzentrieren. Er ertappt sich sogar bei dem Gedanken, dass ja nun ein Würstchen mehr vorhanden ist und schämt sich dafür. Er erfährt nun, dass es keine Möglichkeit gibt den Verstorbenen aus der Wohnung zu holen. Die Bestatter in fußläufiger Entfernung haben Frau Schneider erklärt, dass sie keine Verstorbenen mehr annehmen können. Die Kühlung funktioniert nicht ohne Strom und da die Krematorien nicht arbeiten müssen die Toten in der Erde bestattet werden. Schon am dritten Tag des Stromausfalls kann hierbei keine Pietät mehr gewährleistet werden. Es fehlt an Treibstoff für die Bagger, an Särgen und der Möglichkeit Trauerfeiern zu organisieren. Zur Vorbeugung von Seuchen und im Rahmen des jetzt vorhandenen Krisenmanagements wurde daher beschlossen Sammelgräber auszuheben, in welchen die in Plastikfolie gewickelten Leichname begraben werden. Ein paar wenige Worte des Pfarrers und einige Handvoll Kalk müssen vorerst reichen. Die Lage der Toten wird skizziert in der Hoffnung nach dem Blackout eine würdige Bestattung nachzuholen. Jedoch müssen die Angehörigen, die ihre Toten nicht zum Friedhofsgelände bringen können warten.

Der Geruch des Todes

Die wenigen, noch betankten Bestattungswagen transportieren vorrangig die Toten aus den Krankenhäusern ab, um dort die Ausbreitung von Seuchen zu verhindern. Neben Unfallopfern, Palliativpatienten und alten Menschen finden sich auch immer häufiger tote Mütter und Kleinkinder. Ohne die Möglichkeiten eines voll ausgestatteten Krankenhauses  und des Transports in Spezialkliniken wird eine Geburt wieder ein tödliches Risiko für Mutter und Kind. Auf einer anderen Stelle des Friedhofsgeländes findet ein anderes furchtbares Schauspiel statt. Da auch der Müll nicht mehr entsorgt werden kann bringen die Bestatter auf ihren Runden auch Säcke von Klinikmüll mit. Auf einem regelrechten Scheiterhaufen werden nun die Dinge verbrannt, die normalerweise kaum jemand mehr zu Gesicht bekommt: blutige Verbände, amputierte Körperteile und infektiöse Proben aus den Laboren und OPs. Der Gestank ist unbeschreiblich.

Um einzelne Tote aus Mehrfamilienhäusern zu bergen, fehlen den Bestattern die Kapazitäten. Sie empfehlen Frau Schneider den Toten abzudecken und die Tür zum Zimmer abzudichten, wenn sie Ihren Mann nicht zu einer der Sammelstellen bringen kann. Da sie Frau Schneider nicht zumuten wollen die Nacht allein bei ihrem toten Mann zu verbringen, bitten Herr Bock und seine Lebensgefährtin ihre Nachbarin zu bleiben. Als sich Frau Schneider in den Schlaf geweint hat, essen Herr Bock und Frau Mueller schweigend aber mit Heißhunger die mitgebrachten Würstchen. Frau Mueller konnte leider nichts zur Mahlzeit beitragen, da inzwischen die Personalrationen im Krankenhaus verringert wurden und Kontrollen stattfinden, um zu verhindern, dass Lebensmittel gebunkert werden. Mit noch mehr Angst, als in den letzten Tagen, legen sich die beiden ins Bett und schlafen unruhig ein.

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